„Digital unterstützte Aufgaben und Prüfungen – eine Chance, die richtig genutzt werden muss“
Es gibt Grund zur Hoffnung, dass ein auf kluge Weise digital unterstützter Präsenzunterricht durch auf ebenso kluge Weise digital unterstützte Aufgaben und Prüfungen eine wertvolle Bereicherung erfahren kann. Im Unterrichtsalltag liegt die Chance darin, durch digitale Unterstützung die Arbeitsbelastung für die Lehrkräfte zu senken, Leistungsfeststellungen aussagekräftiger zu gestalten und den Unterricht insgesamt stärker auf die durch die Digitalisierung angeschobenen Innovationen hin auszurichten. Damit diese Erwartungen erfüllt werden, muss die Chance, die in der digitalen Unterstützung von Aufgaben und Prüfungen liegt, sachgerecht genutzt werden.
Notwendig ist dazu eine begriffliche Abgrenzung: Allgemein kann man alle Aufgaben, bei denen die Aufgabenstellung, die Bearbeitung oder die Auswertung der Ergebnisse zumindest teilweise in digitalen Medien erfolgt, als „digital unterstützt“ ansehen. Als digital unterstützte Prüfungen im engeren Sinne sind solche digital unterstützten Aufgaben zu verstehen, die unterrichtsbegleitend oder im förmlichen Sinne auf Noten bezogen zur Feststellung von Lernleistungen gedacht sind.
Speziell für Prüfungen gilt, dass die Chance, die in der digitalen Unterstützung liegt, nur dann sachgerecht genutzt werden kann, wenn die digitale Unterstützung das Vertrauensverhältnis zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern schützt, die pädagogische Freiheit und Verantwortung der Lehrkräfte respektiert und die Qualität von Prüfungen hinsichtlich ihrer Objektivität, ihrer Validität und ihrer Reliabilität verbessert. Nicht sachgerecht ist eine Digitalisierung um ihrer selbst willen, die darauf abzielt, Prüfungen um des Prinzips willen zu digitalisieren. Vernünftigerweise werden vielmehr digital unterstützte Prüfungen das herkömmliche Spektrum sinnvoll ergänzen.
Positionen des DPhV

  • In der digitalen Unterstützung sowohl von Prüfungen als auch von Aufgaben liegt grundsätzlich eine Chance, die schüler- und sachgerecht sowie mit Blick auf die Praktikabilität im Unterricht richtig genutzt werden muss. Eine Digitalisierung um ihrer selbst willen ist abzulehnen.
  • Primär auf Notenfindung hin ausgerichtete digital unterstützte Prüfungen müssen unterschieden werden von unterrichtsbegleitenden digital unterstützten Aufgaben.
  • Alle Anforderungen, die für konventionelle Prüfungen gelten, müssen auch bei digitaler Unterstützung gelten.
    Bessere Arbeitsbedingungen durch digitale Unterstützung von Prüfungen
    Die digitale Unterstützung von Prüfungen kann einen Beitrag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte leisten, wenn sie die realen Gegebenheiten im Schulbetrieb differenziert wahrnimmt und reflektiert. Ein gutes Beispiel dafür sind digitale Hilfsmittel und Prüfungsformate, die Faktenwissen effizient abprüfen. In der Möglichkeit
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    (teil-)automatisierter Auswertung und in der Möglichkeit zu zeitsparenden Feedbacks liegt eine solche Chance.
    Negative Auswirkungen haben digital unterstützte Prüfungen dann, wenn ihre Einführung nicht von ausreichenden und fachspezifischen Fortbildungsangeboten und von einer ausreichenden Unterstützung der Lehrkräfte bei der Prüfungsgestaltung – z.B. durch best-practice-Beispiele – begleitet wird. Grundsätzlich dürfen die mit digitaler Unterstützung verbundenen technischen Schwierigkeiten sowohl auf Seiten der Lehrkräfte als auch auf der der Eltern nicht unterschätzt werden, alleine schon aus Gründen der Bildungsgerechtigkeit.
    Ein wichtiger Grundsatz muss lauten, dass speziell bei der Arbeit mit digital unterstützten Aufgaben und Prüfungen der Arbeits- und Gesundheitsschutz höchste Priorität genießen muss. Dieser Grundsatz muss sowohl für Lehrkräfte als auch – differenziert nach Altersgruppe – für die Schülerinnen und Schüler gelten, beispielsweise im Hinblick auf die maximale tägliche Bildschirmarbeit. Diesbezüglich ist die gegenwärtige Schwemme an digitalen Unterstützungsmöglichkeiten für den Unterricht generell und auch im Bereich von Aufgaben und Prüfungen sehr kritisch zu sehen. Bereits seit Jahrzehnten ist aus der Forschung bekannt, dass digitale Medien per se andersartige und (oft) höhere physische und psychische Belastungen auslösen können, gerade wenn sie im Bereich von Prüfungen eingesetzt werden. Das gilt selbst bei optimal gestalteten Medien.
    Positionen des DPhV
  • Teilautomatisierte Prüfungen können einen Beitrag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte leisten. Sie müssen durch entsprechende Unterstützungsangebote, u.a. im Bereich der Fortbildung, begleitet werden.
  • In der technischen Umsetzung solcher Prüfungen liegen bei Eltern, Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften Schwierigkeiten, die auch zu Problemen im Bereich der Bildungsgerechtigkeit führen können. Diese Probleme dürfen nicht unterschätzt werden.
  • Der Arbeits- und Gesundheitsschutz muss auch bei digital unterstützten Aufgaben und Prüfungen höchste Priorität genießen.
    Aussagekräftigere Prüfungen durch digitale Unterstützung
    Schon seit den ersten Schritten zu teilautomatisierten Aufgaben in den 1960er-Jahren ist damit die Hoffnung verbunden, nicht nur effizientere, sondern auch aussagekräftigere Prüfungen gestalten zu können. Bedauerlicherweise liegen aber noch so gut wie keine wissenschaftlich abgesicherten Erkenntnisse über die Qualität von digital unterstützten Prüfungen vor. Gerade deshalb ist es dringend nötig, digitale Hilfsmittel für das Prüfungsgeschäft (fach-) wissenschaftlich zu evaluieren.
    Gleichwohl hat sich ein kaum überschaubares Angebot von digitalen Prüfungsformaten und digital unterstützten Aufgaben entwickelt, deren didaktischer und pädagogischer Wert in vielen Fällen ungeachtet ihrer technischen Raffinesse höchst zweifelhaft ist. Neben sehr überzeugenden Ansätzen tummeln sich Angebote und Empfehlungen obskurer Institutionen, „Teams“ und Einzelner, die größtenteils keinerlei Qualitätskontrolle durchlaufen haben und nicht selten erschreckende handwerkliche Mängel aufweisen. Hier stehen besonders die Bundesländer und ihre Lehrerfortbildungsinstitutionen in der Pflicht, sachgerechte Qualitätsmaßstäbe zu entwickeln und deren Einhaltung durchzusetzen.
    Diese Aufgabe ist besonders wichtig, weil trotz vieler negativer Beispiele in der digitalen Unterstützung von Prüfungen sehr wohl die Chance liegt, Prüfungen aussagekräftiger zu gestalten. Damit dies gelingen kann, muss die Entscheidung über Medien und Prüfungsformate nach Schularten, Fächern und Altersgruppen differenziert betrachtet werden. Der oberste Grundsatz bei der Entscheidung über das richtige Medium und das richtige
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    Prüfungsformat muss auch hier „Pädagogik vor Technik“ lauten. Im Hinblick auf die Gestaltung von Prüfungen ist der Lehrzielorientierung der höchste Stellenwert einzuräumen.
    Soweit bisher ersichtlich, leistet die digitale Unterstützung von Prüfungen insbesondere dann einen Beitrag zur Qualitätsverbesserung, wenn sie synchron und in der Schule durchzuführende Prüfungen in den Blick nimmt. Zu erwarten ist, dass es – eine sach- und schülergerechte technische Ausstattung vorausgesetzt – schon alleine unterrichts-organisatorisch leichter fällt, einen differenzierten (Selbst-)Blick auf die individuellen Schülerleistungen zu gewinnen. So kann eine sachgerechte digitale Unterstützung dabei helfen, individuelle Lernerfolge und -defizite sichtbar zu machen und dabei möglicherweise auch Hilfestellungen für eine Veränderung und Weiterentwicklung des Lernvorgangs zu gewinnen. Auf diese Weise kann es gelingen, auch Prüfungen, die auf die Vergabe von qualifizierten Noten (z.B. Klassenarbeiten am Ende einer Lerneinheit) ausgerichtet sind, stärker an den vorausgehenden und nachfolgenden Lernprozess anzubinden. Gerade bei der Vergabe von qualifizierten Noten ist aber zu beachten, dass nach gegenwärtigem Stand von Technik und Forschung disloziert durchgeführte Prüfungen in der Regel auch dann ungeeignet sind, wenn sie digital unterstützt werden.
    Positionen des DPhV
  • Bund und Länder müssen dringend eine wissenschaftliche Evaluation über die Qualität und die Lernwirksamkeit digital unterstützter Aufgaben und Prüfungen veranlassen.
  • Bei allen Formen von Aufgaben und Prüfungen muss der Grundsatz lauten: Pädagogik vor Technik. Eine sach- und schülergerechte Differenzierung ist gerade bei digital unterstützten Aufgaben und Prüfungen unabdingbar.
  • Digital unterstützte Prüfungen sind hauptsächlich dann sinnvoll, wenn es um synchron und in der Schule durchzuführende Prüfungen geht.
    Umfassendere und stärker zukunftsorientierte Bildung durch digitale Unterstützung
    Mehr denn je muss das Gymnasium ein Ort der vertieften Auseinandersetzung mit einer immer komplexer werdenden Wirklichkeit sein. Das Bildungsziel des Gymnasiums, nämlich die vertiefte Allgemeinbildung, die Studierfähigkeit und die Wissenschaftspropädeutik, kann durch digital unterstützte Aufgaben gestärkt werden. Dazu kann die digitale Unterstützung beispielsweise schon dadurch beitragen, dass sie zusätzliche, motivationssteigernde Aufgaben und Prüfungen ermöglicht, in denen Schülerinnen und Schüler ihr Wissen und Können unter Beweis stellen. Zu hoffen ist, dass die digitale Unterstützung speziell von Aufgaben auch dazu beitragen kann, den durch die Digitalisierung erreichten Fortschritt in den Bezugswissenschaften schneller an den Gymnasien zu verankern. Klar ist dabei, dass die bestens erforschten Gütekriterien für Aufgaben und Prüfungen (wie z.B. die Eigenständigkeit der erbrachten Leistung) für alle Formen und Medien von Prüfungen weiter gelten müssen.
    Um eine umfassendere und stärker zukunftsorientierte Bildung zu ermöglichen, muss der Aspekt der digitalen Unterstützung von Aufgaben und Prüfungen so schnell wie möglich und je nach Phase differenziert grundständig in der Lehrerbildung verankert werden. Dabei ist von Beginn an auf die Einbeziehung der Fachwissenschaften zu achten und vor allem sind Freiräume dafür zu schaffen, den Einsatz von digitalen Hilfsmitteln spätestens in der zweiten Phase der Lehrerbildung auch praktisch zu trainieren.
    Positionen des DPhV
  • Digital unterstützte Aufgaben- und Prüfungsformate sollen nicht nur motivationssteigernd sein, sondern auch den Transfer von Innovationen der Bezugswissenschaften in die Schule verbessern.
  • Digital unterstützte Aufgaben- und Prüfungsformate sollten so schnell und so früh wie möglich in der Lehrerbildung verankert werden.
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    Kooperation der Partner im Schulwesen verbessern
    Die digitale Unterstützung von Aufgaben und Prüfungen ist ein gutes Mittel, um die Kompetenz externer Partner, z.B. durch die Partizipation an der Entwicklung neuer Formate und Unterrichtssettings, zu aktivieren. Das setzt die Bereitschaft der Bundesländer und der Schulträger voraus, solche neuen Entwicklungen auch finanziell zu fördern und sie aktiv mitzugestalten. Ebenso wie die Finanzierungspartnerschaft zwischen Bund, Ländern und Schulträgern sich weiterentwickeln muss, muss auch die Kompetenz der staatlichen Lehrerfortbildung in diesem Bereich deutlich gestärkt und ihre Professionalität weiterentwickelt werden.
    Zugleich stellt die Kooperation mit externen Partnern im Bereich von digital unterstützten Aufgaben und Prüfungen eine nicht unerhebliche Gefahr für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Bei der (teil-)automatisierten Auswertung von Schülerleistungen, aber schon bei der automatisierten Beobachtung der Schülerinnen und Schüler bei der Bearbeitung von digital gestellten Aufgaben fallen große Mengen an individuellen Daten an, deren Aus- und (kommerzielle) Verwertbarkeit teilweise noch gar nicht absehbar ist. Inwiefern die aktuellen Datenschutzbestimmungen und sonstigen rechtlichen Vorgaben den daraus potenziell resultierenden Gefahren wirksam entgegenstehen, ist nicht in jedem Fall zu überblicken. Es muss daher bezweifelt werden, dass die gegenwärtig üblichen Einverständniserklärungen zur Nutzung elektronischer Dienste bei Prüfungen tatsächlich auf der rechtlich vorausgesetzten Kenntnis über die mit einer möglichen Auswertung verbundenen Folgen beruhen. Hier stehen die Bundesländer in der Verantwortung, eine Pflicht zur Löschung von solchen Daten gegenüber den Anbietern sowohl kommerzieller als auch nicht-kommerzieller Hilfsmittel einzuführen und durchzusetzen.
    Positionen des DPhV
  • Die Einführung von digital unterstützten Aufgaben und Prüfungen verlangt eine sachgerechte und zukunftsorientierte Zusammenarbeit aller in Frage kommenden Partnern. Diese Partnerschaft muss sachgerechte Finanzierungsmittel und eine weitere Professionalisierung aller Akteure anstreben.
  • Der Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen muss gerade bei digital unterstützten Aufgaben grundlegend überdacht werden. Dies gilt insbesondere beim Schutz der Betroffenen gegenüber kommerziellen Anbietern.

    Berlin, 6. Mai 2023