Sehr geehrte Frau Busse,

wie viele hofften wir, dass mit Ihnen und damit mit einer erfahrenen Praktikerin als Senatorin
endlich ein Weg aus dem Berliner Bildungschaos gefunden wird.


Aber erneut wurden die Berliner Schulen mit einem Schreiben (24.01.2022) von heute auf
morgen mit neuen Regelungen konfrontiert. Ohne irgendwelche Vorzeichen und ohne
Absprache oder Rücksprache mit dem Hygienebeirat wurde ab dem 25.01.2022 die
Präsenzpflicht für Schülerinnen und Schüler ausgesetzt.


Dabei war die Entwicklung der Infektionslage lange vorher von Fachleuten vorausgesagt und
kam damit nicht überraschend. Trotzdem endete es wieder in blindem Aktionismus.
Bei allem Verständnis für die Sorgen der Eltern, die selbstverständlich bei Ihren
Entscheidungen eine Rolle spielen sollen, obliegt Ihnen auch die Fürsorgepflicht für die
Schülerinnen und Schüler, die Lehrkräfte und die Schulleitungen.


Offensichtlich ist es der Senatsverwaltung entgangen, dass die 10. und 12. Klassen kurz vor
Prüfungen stehen. Sowohl das Abitur als auch die Prüfungen zum MSA benötigen eine
entsprechende Vorbereitung. Nicht umsonst hat Brandenburg alle abschlussrelevanten
Jahrgänge von der Aussetzung der Präsenzpflicht ausgenommen.


Des Weiteren steigt die Arbeitsbelastung der Lehrkräfte und der Schulleitungen. Zwar gibt es
keinen Anspruch auf Distanzunterricht, aber die Schulen sollen entsprechend ihrer
Personalsituation entscheiden. Als ehemalige Schulleiterin sollten Sie mit der
Personalsituation der Berliner Schulen eigentlich gut vertraut sein. Mit den Öffnungsklauseln
verlagern Sie Ihre Verantwortung auf die Schulleitungen, sodass es keine klaren und
verbindlichen Regelungen gibt und eine Doppelbelastung von Präsenz- und
Distanzunterricht für die Lehrkräfte nicht auszuschließen ist. Gleichzeitig belasten Sie die
Schulleitungen und Lehrkräfte zusätzlich:

  1. In der Primarstufe erwarten Sie von den Lehrkräften beim Fernbleiben von mehr als
    fünf Schultagen zusätzlich Gespräche mit den Schülerinnen und Schülern durch
    Hausbesuche oder digital/fernmündlich.
  2. Bei Prüfungen per Videotelefonie überlassen Sie die technische als auch die Klärung
    der rechtssicheren Durchführung den Schulleitungen.
  1. Die Klausuren sollen in der GO in Präsenz durchgeführt werden.
    Dies bedeutet, dass die Unterrichtsvoraussetzungen für die anwesenden und
    abwesenden Schülerinnen und Schüler nicht mehr vergleichbar und damit die
    Klausuren nicht rechtssicher erscheinen. Gleichzeitig bedeuten die unterschiedlichen
    Unterrichtssituationen eine erhebliche Mehrbelastung der jeweiligen Kursleiterinnen und Kursleiter.

Ferner berücksichtigen Sie nicht den Aspekt, dass viele Lehrkräfte zugleich Eltern
schulpflichtiger Kinder sind, die auch vom Recht der Entbindung von der Präsenzpflicht ihrer
Kinder Gebrauch machen wollen und die Kinder dann zu Hause betreuen müssen und auch
dürfen. Was dies für die betroffenen Schulen bedeutet, muss ich Ihnen eigentlich nicht
erklären.


Leider bin ich von Ihrem bisherigen Wirken als Senatorin enttäuscht.


Werden Sie Ihrer Verantwortung gegenüber den Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern und
Schulleitungen gerecht!

Mit freundlichen Grüßen

Kathrin Wiencek